"Die Fragestellung dieser Schrift betrifft die Haltung der Umwelt zum Künstler. Nicht der Lebenslauf des Künstlers, sondern das Urteil von Mit- und Nachwelt wird uns als Quelle dienen, die Künstlerbiographik im weitesten Sinn; in ihrem Mittelpunkt steht die
Legende vom Künstler.
Wir meinen aufzeigen zu können, daß in aller Biographik gewisse Grundvorstellungen vom bildenden Künstler nachzuweisen sind, die, ihrem Wesen nach aus einheitlicher Wurzel verständlich, sich bis in die Anfänge der Geschichtsschreibung zurückverfolgen lassen. Bei aller Abwandlung und Umgestaltung scheinen sie bis in die jüngste Vergangenheit ihre Bedeutung nie ganz eingebüßt zu haben."
Im Zuge der Nachforschungen über die Lebensgeschichte des österreichischen Bildhauers Franz Xaver Messerschmidt stieß Ernst Kris auf das Problem dieses Buches: die stereotypen Anekdoten und Legenden, die von den Künstlern der Vergangenheit so häufig erzählt werden. So hieß es in einer frühen Biographie von Messerschmidt, ähnlich wie von Giotto und zahlreichen anderen, er sei als Knabe Schafhirt gewesen; bei seiner sozialen Herkunft eine unwahrscheinliche Geschichte. In ähnlicher Weise hatte der Realismus eines seiner Kruzifixe den Anlaß zu dem (häufig vorkommenden) Gerücht gegeben, der Künstler habe sein Modell tatsächlich gekreuzigt, um dessen Todeskampf darzustellen.
Otto Kurz hatte sozusagen begonnen, den Tunnel von der anderen Seite des Berges her zu graben. Er hatte nämlich entdeckt, daß eine Geschichte, die Vasary über den Florentiner Maler Filippo Lippi erzählt, in Wirklichkeit einer italienischen Novelle entnommen war und auf den Künstler übertragen wurde, dessen reale romantische Eskapaden eine solche Anreicherung vielleicht herausgefordert hatten.
Ernst Kris verdanken wir also die tiefe Einsicht, daß die Geschichten, die allerorten und zu allen Zeiten von Künstlern erzählt werden, eine allgemeine menschliche Reaktion auf den geheimnisvollen Zauber des Bildermachens spiegeln; Otto Kurz verdanken wir die Erfindungsgabe des Aufspürens von Parallelen, um die Allgegenwart dieser Motive zu illustrieren und nachzuweisen.
Die Autoren strebten einen neuen Stil geisteswissenschaftlicher Darstellung an, mit ausführlicher Dokumentation, aber ohne die Ablenkungen durch einen wissenschaftlichen Apparat mit Anmerkungen. Der Schriftgrößenunterschied sollte ausreichen, um zwischen der Argumentstruktur und dem Belegmaterial zu trennen. Es öffnen sich überraschende Ausblicke. (Aus dem Vorwort von Ernst H. Gombrich)