Dem Schilf im Wind vergleichbar sind die Menschen, die uns die Nobelpreisträgerin Grazia Deledda in ihrem Sardinien-Roman vor Augen führt: geduldig, vom Schicksal erfaßt, niedergedrückt und von der Liebe schließlich wieder emporgerichtet.
Auf einem halb verfallenen Landgut inmitten der kargen Landschaft Sardiniens, zwischen Granatapfelbäumen und wilden Kaktusfeigen, verbüßt der Knecht Efix eine geheime Schuld im Dienst der Schwestern Pintor. Doch schon bald werden die Frauen in ihrer trostlosen Abgeschiedenheit, gewissermaßen auf einer Insel innerhalb der Insel, von der Vergangenheit eingeholt. Von dieser archaischen, unwirklichen Welt, mit Kobolden, die ihre Schätze verstecken, und Feen, die auf ihren Webstühlen Goldstoffe herstellen, scheint der Mensch nur widerwillig geduldet zu sein. Eine Fülle lyrischer Motive und eine Spannung, die uns schon auf den ersten Seiten in ihren Bann zwingt, verschmelzen hier auf das Wunderbarste miteinander.
Fast zeitlos, dahinströmend im Rhythmus der Naturgezeiten, wirkt das Geschehen in diesem märchenhaften Werk Grazia Deleddas (1871-1936). Mit seiner elegischen Stimmung vermag es auf eindringliche Weise zu bezaubern. Während zahlreiche andere Inseln des Mittelmeeres seit der Antike im Licht der politischen und kulturellen Geschichte standen, lag Sardinien lange Zeit im Schatten der Weltereignisse. Mit ihrem Werk ermöglicht es Grazia Deledda, die poetische Schönheit ihrer Heimat zu entdecken.